Sabine Walker - Praxis für integrative Lerntherapie - Neue Steige 2 - 72138 Kirchentellinsfurt 0177-2108511 info@lerntherapie-walker.de

Nachteilsausgleich in Englisch bei LRS

Nachteilsausgleich in Englisch bei LRS

faire Chancen – kluge Wege – gelebte Teilhabe

Wie Schule, Eltern und Lerntherapie gemeinsam Kinder stärken können

Warum Nachteilsausgleich so wichtig ist

„Ein Nachteilsausgleich ist kein Geschenk, sondern eine Form gelebter Gerechtigkeit.“

Ich habe eine Teilleistungsschwäche. Ein Teil der Leistung meiner Augen ist gestört. Deshalb trage ich eine Brille.
Niemand würde auf die Idee kommen, von mir zu verlangen, dass ich die Brille absetze, wenn ich in meinem Französischkurs lerne.
Und niemand würde denken, es sei unfair, dass ich eine Brille habe, andere aber nicht.

Wenn Kinder mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) einen Nachteilsausgleich erhalten, empfinden manche das jedoch als ungerecht.
Dieses Denken befremdet mich immer wieder aufs Neue. Denn:
Ein Nachteilsausgleich sorgt dafür, dass Kinder ihre Fähigkeiten zeigen können – und nicht an Barrieren scheitern, die mit Intelligenz oder Motivation nichts zu tun haben.

Bei einem Nachteilsausgleich geht es nicht um Sonderrechte, sondern darum, gleiche Chancen auf Lern- und Leistungserfolg zu schaffen.

Gerade im Fach Englisch wirkt sich LRS besonders stark aus:
Das Laut-Buchstaben-System ist unregelmäßig, die Schreibweise oft unlogisch, und die Rechtschreibung folgt kaum hörbaren Regeln.
Kinder, die im Deutschen schon unsicher lesen oder schreiben, erleben Englisch daher schnell als Überforderung.

Doch mit den richtigen pädagogischen, organisatorischen und emotionalen Anpassungen kann der Englischunterricht wieder zu einem Ort werden, an dem Lernen gelingt.

Bildquelle: freepik

Nachteilsausgleich ist individuell – nicht pauschal

Ich erlebe in meiner Praxis immer wieder, dass Eltern am Schuljahresbeginn Rat suchen:
Was ist möglich? Was ist erlaubt? Was hilft meinem Kind wirklich?

Auch Lehrkräfte fragen oft nach – manchmal diskutieren wir engagiert über das, was sinnvoll und gerecht ist.
Darum greife ich das Thema immer wieder auf, denn mit jedem Kind, jeder Schule, jeder Erfahrung entstehen neue Impulse.

Wie kann Nachteilsausgleich in Englisch konkret aussehen?

1. Lesen und Hören kombinieren

Kinder mit LRS profitieren, wenn sie Text und Ton gleichzeitig erleben.
So verknüpfen sie Klang und Schrift – und können Wörter leichter speichern.

In der Schule:

  • Texte als Audio-Version bereitstellen (z. B. Schulbuchverlag oder eigene Aufnahme).
  • Text beim Hören mitlesen lassen, Schlüsselwörter markieren.

Zu Hause:

  • Hörbücher oder Apps mit „Read & Listen“-Funktion nutzen.
  • Kleine Filme oder Kinder-Serien auf Englisch mit Untertiteln ansehen.

Forschung zeigt, dass das gleichzeitige Hören und Lesen (dual coding) das Sprachverstehen und die Merkfähigkeit deutlich verbessert.

2. Schreiben erleichtern – Ausdruck ermöglichen

Beim freien Schreiben verlieren Kinder mit LRS oft den roten Faden, weil sie zu sehr mit der Rechtschreibung beschäftigt sind.
Hilfreich sind Satzbausteine oder Wortkarten:

I like ___ because ___.
Yesterday I went to ___ and saw ___.

So bleibt die sprachliche Struktur erhalten, der Druck sinkt.

Auch vorbereitete Wordbanks (thematische Wortlisten mit Bildern) oder Operatorenlisten für Aufgabenstellungen fördern Selbstständigkeit und verringern Verständnisprobleme.

3. Mehr Zeit – weniger Stress

Kinder mit LRS verarbeiten Sprache langsamer – nicht, weil sie weniger wissen, sondern weil das Lesen, Schreiben und Verstehen mehr kognitive Ressourcen kostet (vgl. Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 2020).

Praxisideen:

  • +25 % Zeit bei schriftlichen Arbeiten,
  • längere Aufgaben auf zwei Tage verteilen,
  • mündliche Ergänzungen bei schriftlichen Tests erlauben.

Ein Nachteilsausgleich ist keine Bevorzugung, sondern die faire Voraussetzung, die wahre Leistung sichtbar zu machen.

4. Mündliche Stärken sichtbar machen

Englisch ist eine Sprache des Klangs – und genau hier liegen oft die Stärken von Kindern mit LRS.

Möglichkeiten:

  • kurze mündliche Prüfungen,
  • kleine Präsentationen oder Dialoge,
  • Audioaufnahmen oder Videoübungen,
  • Tandemgespräche mit Mitschülern.

Wer die Sprache sprechen darf, ohne ständig Angst vor Schreibfehlern zu haben, gewinnt Zutrauen – und damit auch Motivation.

In meinen Ferienkursen Englisch erlebe ich immer wieder:
Kinder, die zu Beginn kaum sprechen, trauen sich plötzlich.
Sie merken, dass sie nicht allein sind, dass Fehler erlaubt sind.
Wo Fehlerfreundlichkeit gelebt wird, wächst Mut. Oft kommt einige Zeit später das Feedback, dass sich diese Kinder mehr im Schulunterricht zutrauen, sich öfter melden.

5. Bewertung mit Augenmaß

Rechtschreibfehler sollten bei Kindern mit LRS nicht gewertet werden.
Der Fokus liegt auf Inhalt, Ausdruck und Verständlichkeit – nicht auf orthografischer Genauigkeit.

„Ich sehe, was du kannst – nicht, woran du scheiterst.“

So bleibt Bewertung fair – und fördert Selbstvertrauen statt Angst.

Auch Grammatik fällt vielen schwer, weil sie Muster in der Fremdsprache schwerer erkennen und mitbekommen. Zu diesem Thema möchte ich in den nächsten Monaten etwas dazu schreiben.

6. Digitale Hilfen sinnvoll nutzen

Tablets und Laptops sind für viele Kinder mit LRS eine enorme Erleichterung.
Sie ermöglichen konzentriertes Arbeiten, sauberes Schreiben und mehr Selbstständigkeit, sofern sie einen Bezug dazu haben, das 10 Finger System beherrschen und sich getrauen, diese Mittel im Unterricht auch zu nutzen. Viele Kinder berichten mir, dass es ihnen eher peinlich ist, ein Tablet nutzen zu dürfen, während andere keines haben.

Auch ein Lesestift kann eine enorme Erleichterung sein. Doch auch hier – die Kinder müssen sich trauen, diese Hilfsmittel einzusetzen.

Falls sie es sich in der Schule nicht getrauen – zumindest zu Hause kann es viel Stress bei der Hausaufgabenbewältigung reduzieren. Und Tablets, Lesestifte ermöglichen es den Kindern eigenständig arbeiten zu können.

Digitale Hilfen, die sich bewährt haben:

  • Textverarbeitung mit Autokorrektur,
  • Diktierfunktion (Spracherkennung),
  • Lern-Apps wie Cabuu, Quizlet, phase 6
  • Text-zu-Sprache-Funktionen,
  • Lesestifte.

Zu Hause können sie Stress reduzieren und Selbstständigkeit fördern.
Das Ziel ist nicht, Fehler zu verstecken – sondern Zugang zur Sprache zu öffnen.

7. Hörverstehen mit Sicherheit

Kinder mit LRS verarbeiten gesprochene Sprache langsamer.
Hilfreich ist:

  • Text zweimal hören,
  • Bilder oder Stichwörter als visuelle Stütze geben,
  • klare Auswahlaufgaben statt offener Fragen.

So kann das Kind zeigen, was es versteht, ohne sich überfordert zu fühlen.

8. Grammatik sichtbar machen

Viele Kinder mit LRS brauchen Grammatik zum Anfassen.
Visualisierung hilft:

  • Farbcodes: Subjekt = blau, Verb = rot, Objekt = grün.
  • Satzbauspiele: Wörter als Kärtchen in richtiger Reihenfolge legen.
  • Bewegung: Grammatik in Bewegung, Zeitformen in Bewegungen

So wird Grammatik anschaulich und begreifbar – im wahrsten Sinne des Wortes.

9. Alternative Hausaufgaben

Hausaufgaben müssen nicht schriftlich sein, um Lernfortschritt zu zeigen.
Beispiele:

  • Audioaufnahme eines Mini-Dialogs,
  • Sprachnachricht mit neuen Vokabeln,
  • Comic oder Lernkarte mit englischen Sprechblasen.

Diese Aufgaben fördern Selbstwirksamkeit, Spaß und Motivation – besonders, wenn sie in der Schule gewürdigt werden.

10. Nachteilsausgleich regelmäßig prüfen

Kinder entwickeln sich – ihr Nachteilsausgleich auch.
Gemeinsam mit Eltern, Lehrkräften und Lerntherapeuten sollte regelmäßig gefragt werden:

„Hilft dir das noch, oder brauchst du etwas anderes?“

Das schafft Transparenz, Beteiligung und echtes Mitspracherecht.

11. Emotionale Entlastung ist auch Nachteilsausgleich

Nicht jede Anpassung ist organisatorisch.
Ein wohlwollender Blick, Lob für Fortschritte, Humor in schwierigen Situationen – das alles sind Formen von Nachteilsausgleich im Alltag.

Auch das bewusste Reduzieren von Korrekturen (z. B. nur ein Lernziel markieren) signalisiert:
Hier wird Lernen begleitet – nicht bewertet.

 Zu Hause umsetzen – drei einfache Wege für Eltern

  • Gemeinsam lesen und mitlesen lassen – ohne ständiges Korrigieren.
  • Neue Wörter mit Bewegung oder Bildern verbinden („jump“, „run“, „swim“ zeigen).
  • Kleine Fortschritte sichtbar machen – z. B. mit einem English proud book.

„Kinder brauchen keine Perfektion, sondern das Gefühl, dass jemand an sie glaubt.“

Fazit

Ein guter Nachteilsausgleich erkennt, dass Gerechtigkeit nicht bedeutet, alle gleich zu behandeln.
Er sorgt dafür, dass Kinder mit LRS in Englisch nicht an der Rechtschreibung scheitern, sondern ihre Freude an Sprache behalten dürfen.

„Nachteilsausgleich heißt: Ich sehe dich – nicht deine Fehler. Und ich glaube an das, was du kannst.“

(Bildquelle: gpointstudio / freepik)

Lernen ist ein Weg – manchmal mit Stolpersteinen, aber immer mit Möglichkeiten.
Wenn Sie weiterlesen möchten, finden Sie hier weitere Artikel

Englisch und LRS: Nachteilsausgleich als individuelle Unterstützung für Schüler mit Lese-Rechtschreib-Schwäche Englisch lernen mit LRS „Englisch lernen mit LRS – Sprachfreude statt Frust“ https://www.lerntherapie-vs.de/nachteilsausgleich/nachteilsausgleich-in-englisch-mit-lrs/

Hinterlasse einen Kommentar