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Lieblingsfächer und Überlebensfächer – was unsere Lernbiografie über uns erzählt

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Lieblingsfächer und Überlebensfächer – was unsere Lernbiografie über uns erzählt

Wenn Sie an Ihre Schulzeit zurückdenken – was fällt Ihnen zuerst ein?
Ihre Lieblingsfächer oder Ihre Überlebensfächer?

Die Fächer, die Sie mochten, in denen Sie sich sicher und kompetent fühlten?
Oder das Fach, in dem Sie nur überlebt haben – irgendwie durchgekommen, ohne Freude, ohne Stolz?

Es gibt Fächer, in denen wir aufgegangen sind – neugierig, wach, erfolgreich.
Und es gibt die anderen – die Fächer, in denen wir nur durchgehalten haben.
Fächer, die sich eher nach Pflicht als nach Entfaltung angefühlt haben. Oder die Angst verursachten.
Ich nenne sie die „Überlebensfächer“.

Manche Kinder erleben diese Angst nicht nur in einzelnen Fächern, sondern in der ganzen Schule.
Dann wird Lernen zum Stress, jeder Schultag zum Kraftakt.
Wenn keine passende Hilfe zur Stelle ist, kann das bis zur Schulverweigerung oder gar zum Abbruch führen.
Ich habe das in der Lerntherapie schon mehrfach erlebt.
Was diesen Kindern am meisten hilft, ist ein tragfähiges Netzwerk – Menschen, die sie ernst nehmen, individuell begleiten und kreative Wege suchen.
Wo Elternhaus, Schule und Lerntherapie eng zusammenarbeiten, kann es gelingen, dass Kinder wieder Vertrauen fassen.
Das wäre eigentlich ein Thema für einen eigenen Beitrag – heute soll es ausschließlich um die Spuren gehen, die Lieblings- und Überlebensfächer in unserer Lernbiografie hinterlassen.

 Eigene Erinnerungen

In der Grundschule war mein Überlebensfach Heimatkunde.
Ich fand es schrecklich langweilig – es hat mich einfach nicht interessiert.
Später, in der weiterführenden Schule, war es unter anderem Sport.
Viele waren in Vereinen, trainierten regelmäßig, liebten Bewegung.
Ich gehörte nicht dazu, und zu Hause spielte Sport keine Rolle.

Handarbeit fand ich ebenfalls furchtbar: unter Druck kreativ zu sein, Dinge nach Vorgabe zu gestalten nahm mir jede Freude.
Auch bildnerisches Gestalten stresste mich eher – bis heute glaube ich, nicht malen zu können. Das prägte mich leider.

Mathematik war zwiespältig. Es gab Themen, die mir leicht fielen, und andere, die ich gar nicht verstand.
Ein Vorteil war, dass mein Vater mir das Kopfrechnen gründlich beibrachte – aktuell würde man sagen: er half mir beim Automatisieren.
Das wirkt bis heute nach. Ich bin schnell im Kopfrechnen und überzeugt davon, darin gut zu sein.
Mein Kopf ist oft schneller, als ich nachrechnen kann, ob es stimmt.

Wenn ich heute darauf zurückschaue, merke ich:
Diese scheinbar kleinen Erfahrungen haben meine Haltung zum Lernen stark geprägt.

Was Lieblings- und Überlebensfächer über uns verraten

Was wir mögen, woran wir Freude haben, was unsere kindliche Neugierde beflügelt, setzt positive emotionale Ankerpunkte: Momente, in denen Lernen leicht fiel, in denen wir Erfolg spürten und stolz sein durften.
Das sind die Erfahrungen, die unser Selbstvertrauen als Lernende stärken.

Und die Überlebensfächer?
Auch sie hinterlassen Spuren – manchmal tiefere, als uns bewusst ist.
Angst, Scham, das Gefühl, nicht dazuzugehören, engen das Lernen ein.
Angst ist kein guter Lehrmeister.
Sie lässt keinen Raum für Neugier, für kreative Gedanken, für Selbstvertrauen.
Unser Gehirn lernt nicht im Überlebensmodus – es sichert nur das Nötigste.

Lieblings- und Überlebensfächer sind kleine Marker in unserer persönlichen Lernlandschaft.
Sie zeigen, in welchen Situationen wir Sicherheit, Interesse und Anerkennung erlebt haben – und wo wir eher Druck, Vergleich oder Versagen gespürt haben. Das, was wir über uns als Lernende denken – „Ich kann das.“
Ich bin nicht gut in Mathe.“ „Ich mache immer Fehler.“ – entsteht aus genau solchen Erfahrungen.
Über die Jahre werden daraus innere Überzeugungen, kleine Glaubenssätze,
die wir unbewusst weitertragen:

„Ich bin eher der kreative Typ, nicht der logische.“
„Ich kann gut mit Sprache, aber Zahlen liegen mir nicht.“

Diese inneren Sätze bilden unser Lernskript – unser persönliches Drehbuch für Lernprozesse.
Und sie begleiten uns nicht nur durch die Schulzeit, sondern oft ein Leben lang.
Spannend ist: Sie prägen auch unsere Haltung als Lerntherapeuten, Pädagogen oder Eltern.
Aber auch das ist ein Thema für einen späteren Beitrag.

 Beziehung ist der Nährboden des Lernens

Was Lieblings- und Überlebensfächer unterscheidet, ist oft nicht der Stoff,
sondern die Beziehung, in der gelernt wurde.

Ich habe in einem früheren Beitrag („Wie ich wurde, was ich bin“) über meinen damaligen Lehrer Herrn Noll geschrieben.
Er war jung, dynamisch und unglaublich begeistert davon, uns zu unterrichten.
Seine Freude war ansteckend – plötzlich machte mir Chemie Spaß, und Physik wurde verständlich.
Ich schrieb gute Noten in Fächern, die ich vorher gehasst hatte.
Er zeigte mir, dass Lernen Freude machen darf – und dass Erfolg motiviert weiter zu lernen.

Ein und dieselbe Aufgabe kann sich völlig unterschiedlich anfühlen,
je nachdem, ob ich mich sicher oder unsicher, verstanden oder bewertet fühle.

Kinder lernen leichter, wenn sie spüren:

„Ich darf Fehler machen. Ich bin trotzdem in Ordnung.“

Und sie lernen schwer, wenn sie denken:

„Ich darf mir keine Blöße geben. Ich muss funktionieren.“

Beziehung ist die wichtigste Lernbedingung überhaupt.
Lerntherapie – und eigentlich jede gute Pädagogik – beginnt dort,
wo Kinder sich gesehen fühlen, nicht bewertet.

Alte Muster – neue Erfahrungen

In meiner Arbeit mit Kindern sehe ich das immer wieder:
Ein Kind, das in Mathe blockiert, kann im Spiel plötzlich hochkonzentriert kombinieren und rechnen – und ist erstaunt, wenn ich am Ende sage, dass es gerade 40 Aufgaben gelöst hat.

Ein anderes, das beim Schreiben sofort blockiert, erzählt frei und lebendig Geschichten, wenn der Druck der Bewertung wegfällt.
Oder es sucht mit Feuereifer Wörter auf einem ABC-Blatt,
wenn ich beiläufig erwähne, dass ein anderes Kind 50 Begriffe gefunden hat.

Der Unterschied liegt nicht im Können, sondern im Gefühl.

Lerntherapie bedeutet, diese Gefühle zu verstehen –
und neue, positive Lernerfahrungen zu ermöglichen.

Manchmal beginnt Veränderung schon damit, dass jemand sagt:

„Ich sehe, das war schwer – und du hast es trotzdem versucht.“

Solche kleinen Sätze öffnen große Türen.
Sie verändern das innere Lernskript:
aus „Ich kann das nicht“ wird „Ich kann es lernen.“

Ein Moment zum Nachdenken

Wie ist es bei Ihnen? Nehmen Sie sich einen Moment Zeit dafür.
Was war Ihr Überlebensfach – und warum?
Lag es am Inhalt? Oder an der Atmosphäre, an der Beziehung, am Gefühl, bewertet zu werden?

Und welches war Ihr Lieblingsfach?
Was war dort anders?

Solche Erinnerungen sind kleine Fenster in unsere Lernbiografie.
Sie zeigen, wie eng Lernen, Beziehung und Emotion miteinander verwoben sind.

Zu guter Letzt

Unsere Lernbiografie prägt, wie wir lernen – und wie wir Kinder beim Lernen begleiten.
Wenn wir verstehen, woher Lernängste, Blockaden oder Abwehr kommen,
können wir ihnen mit mehr Geduld, Humor und Empathie begegnen.

Lernen beginnt mit Beziehung.
Und manchmal genügt ein kleiner Moment von Vertrauen,
ein Loslösen von alten Glaubenssätzen
damit aus einem Überlebensfach ein Lieblingsfach wird.

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